9.2.3. Vorhalte der Quinte in Dur- und Molldreiklängen

9.2.3.1. Vorhalte der Quinte in den Oberstimmen

Der obere Vorhalt der Quinte heißt Sext-Vorhalt (genauer: Sext-Quint-Vorhalt, 6/5-Vorhalt).
Aus dem 6/5-Vorhalt ist durch Erstarrung (also Nichtauflösen des Vorhalts) bei der S/s der subdominantische Sextakkord (S6/s6) und bei der D der dominantische Sextakkord (D6 und D6–) entstanden.
Zu unterscheiden sind:

großer Sext-Quint-Vorhalt (6+/5-Vorhalt; Bsp. 9.2.3.1.-1a…)
◊ Vorhaltakkord beim Dur-Dreiklang: Moll-Dreiklang mit Terzbass
◊ Vorhaltakkord beim Moll-Dreiklang: verminderter Dreiklang
◊ bei N; leitereigen in Dur bei T, Sp, S (S6 5), D (D6 5); in Moll bei tP, s (s6 5), sP

kleiner Sext-Quint-Vorhalt (6–/5-Vorhalt; Bsp. 9.2.3.1.-1b…)
◊ Vorhaltakkord beim Dur-Dreiklang: übermäßiger Dreiklang
◊ Vorhaltakkord beim Moll-Dreiklang: Dur-Dreiklang mit Terzbass
◊ leitereigen in Dur bei Dp, Tp; in Moll bei t, D (D6–  5)

Der untere Vorhalt der Quinte heißt Quart-Vorhalt (genauer: Quart-Quint-Vorhalt, 4/5-Vorhalt)
Zu unterscheiden sind

übermäßiger Quart-Quint-Vorhalt (4</5-Vorhalt; Bsp. 9.2.3.1.-1c…)
◊ Vorhaltakkord beim Dur-Dreiklang: (enharmonisch) dur-verminderter Dreiklang
◊ Vorhaltakkord beim Moll-Dreiklang: verminderter Dreiklang
◊ leitereigen bei N, in Dur bei S, in Moll bei tG; sonst meist chromatisch

(reiner) Quart-Quint-Vorhalt (4/5-Vorhalt; Bsp. 9.2.3.1.-1d…)
◊ untere Vorhaltskollision (Bsp. 9.2.3.1.-1d1), wird daher bei Dur-Dreiklängen wegen der starken Dissonanz zur Akkord-3 gemieden
◊ Vorhaltakkord beim Dur-Dreiklang: großer Septakkord ohne Terz
◊ Vorhaltakkord beim Moll-Dreiklang: kleiner Septakkord ohne Terz
◊ leitereigen in Dur bei T, D; in Moll bei tP, s

Bsp. 9.2.3.1.-1: Vorhalte der Quinte in den Oberstimmen

Vorhalte der Quinte in den Oberstimmen


Dissonanzgefälle

Vorhalt

Klangwert

4< / 5 in Dur

9

4 / 5 in Dur

8

4< / 5 in Moll
4 / 5 in Moll
6 / 5 in Moll

7

6– / 5 in Dur

6

6 / 5 in Dur
6– / 5 in Moll

5

Bsp. 9.2.3.1.-2: Diese Sequenz enthält alle 6/5-Vorhalte bei Dur- und Molldreiklängen vorbereitet in den Oberstimmen.

Bsp. 9.2.3.1.-2: Sequenz mit 6/5-Vorhalten in den Oberstimmen

Sequenz mit 6/5-Vorhalten in den Oberstimmen


Bsp. 9.2.3.2.-3: Diese Sequenz enthält alle 4/5-Vorhalte bei Dur- und Molldreiklängen vorbereitet in den Oberstimmen.

Bsp. 9.2.3.1.-3: Sequenz mit 4/5-Vorhalten in den Oberstimmen

Sequenz mit 4/5-Vorhalten in den Oberstimmen


9.2.3.2. Vorhalte der Quinte im Bass

Vorhalte der Quinte im Bass sind selten, da Dreiklänge mit Quintbass meist nur in besonderen feststehenden Formeln auftreten. Der Dreiklang mit Vorhalt vor dem Quintbass ist durch den Vorhalt (relativ) betont und mutet daher meist wie ein Dominantvorhaltquartsextakkord an.

Da Basstöne leicht Grundtoncharakter annehmen, täuschen Bass-Vorhalte häufig andere Funktionen vor.

6/5-Vorhalt beim Dur-Dreiklang
◊ Vorhaltakkord: Moll-Dreiklang, identisch mit dessen kleinterzverwandten Akkord (Bsp. 9.2.3.2.-1a1)
◊ bei N (= ); leitereigen in Dur bei T (= Tp), S (= Sp/S6), D (= Dp/D6); in Moll bei tP (= t), sP (= s)

6/5-Vorhalt beim Moll-Dreiklang
◊ Vorhaltakkord: verminderter Dreiklang, der (sub-)dominantisch gedeutet werden kann (Bsp. 9.2.3.2.-1a2)
◊ leitereigen in Dur bei Sp (= (s6)Tp oder D7 ); in Moll bei s (= s6)

6–/5-Vorhalt beim Dur-Dreiklang
◊ Vorhaltakkord: übermäßiger Dreiklang, der dominantisch gedeutet werden kann (Bsp. 9.2.3.2.-1b1)
◊ leitereigen nur in Moll bei D (= D6– mit Sextbass)

6–/5-Vorhalt beim Moll-Dreiklang
◊ Vorhaltakkord: Dur-Dreiklang, identisch mit dessen großterzverwandten Akkord (Bsp. 9.2.3.2.-1b2)
◊ leitereigen in Dur bei Tg/Dp (= T), Sg/Tp (= S); in Moll bei t (= tG)

4/5-Vorhalte im Bass sind als Töne von doppeldominantischer (Bsp. 9.2.3.2.-1c…)  oder subdominantischer (Bsp. 9.2.3.2.-1d…) Qualität, die in einen Dominantvorhaltquartsextakkord vorgehalten werden, deutbar.

Bsp. 9.2.3.2.-1: Vorhalte der Quinte im Bass

Vorhalte der Quinte im Bass


Bsp. 9.2.3.2.-2: diese Sequenz enthält alle 6/5-Vorhalte bei Dur- und Molldreiklängen vorbereitet im Bass.

Bsp. 9.2.3.2.-2: Sequenz mit 6/5-Vorhalten im Bass

Sequenz mit 6/5-Vorhalten im Bass


Bsp. 9.2.3.2.-3: diese Sequenz enthält alle 4/5-Vorhalte bei Dur- und Molldreiklängen vorbereitet im Bass.

Bsp. 9.2.3.2.-3: Sequenz mit 4/5-Vorhalten im Bass

Sequenz mit 4/5-Vorhalten im Bass


9.2.3.3. Vorhalte der Quinte bei Dreiklängen mit Terzbass

Dreiklänge mit Terzbass werden durch einen 6/5-Vorhalt nach der Generalbasslehre zu einem Quartsextakkord. Wegen der Neigung, den Basston als Grundton zu deuten, kann der 6/5-Vorhalt eine andere Funktion vortäuschen (Bsp. 9.2.3.3.-1a1 und b2; der Vorhalt und seine Auflösung werden dabei zu einer durchgehenden Septime).

Dur-Dreiklang mit Terzbass und 6/5-Vorhalt (Bsp. 9.2.3.3.-1a1)
◊ Vorhaltakkord: Moll-Dreiklang mit Quintbass

Moll-Dreiklang mit Terzbass und 6/5-Vorhalt (Bsp. 9.2.3.3.-1a2)
◊ Vorhaltakkord: verminderter Dreiklang

Dur-Dreiklang mit Terzbass und 6–/5-Vorhalt (Bsp. 9.2.3.3.-1b1)
◊ Vorhaltakkord: übermäßiger Dreiklang

Moll-Dreiklang mit Terzbass und 6–/5-Vorhalt (Bsp. 9.2.3.3.-1b2)
◊ Vorhaltakkord: Dur-Dreiklang mit Quintbass

Der untere Quart-Vorhalt beim Dur-Dreiklang ergibt eine untere Vorhaltskollision (Bsp. 9.2.3.3.-1d1) und wird daher eher selten angewendet.

Bsp. 9.2.3.3.-1: Vorhalte der Quinte bei Dreiklängen mit Terzbass

Vorhalte der Quinte bei Dreiklängen mit Terzbass


Bsp. 9.2.3.3.-2: diese Sequenz enthält alle 6/5-Vorhalte vorbereitet bei Dur- und Molldreiklängen mit Terzbass.

Bsp. 9.2.3.3.-2: Sequenz mit 6/5-Vorhalten bei Dreiklängen mit Terzbass

Sequenz mit 6/5-Vorhalten bei Dreiklängen mit Terzbass


Bsp. 9.2.3.3.-3: diese Sequenz enthält alle 4/5-Vorhalte vorbereitet bei Dur- und Molldreiklängen mit Terzbass.

Bsp. 9.2.3.3.-3: Sequenz mit 4/5-Vorhalten bei Dreiklängen mit Terzbass

Sequenz mit 4/5-Vorhalten bei Dreiklängen mit Terzbass


9.2.4. Vorhalte im verminderten Dreiklang

Der verminderte Dreiklang funktioniert als D7 oder als s6. Da die Bedeutung der Akkordtöne je nach Funktion verschieden sind, werden auch die Vorhalte unterschiedlich bezeichnet.

9.2.4.1. Vorhalte im verkürzten Dominantseptakkord

Bsp. 9.2.4.-1a… (Vorhalte der 3, nur in den Oberstimmen, Verdopplung: D5 oder D7): 4/3-Vorhalt und 2/3-Vorhalt lassen subdominantische Töne in die D eindringen (S5 bei Bsp. 9.2.4.1.-1a1 und S3 bei Bsp. 9.2.4.1.-1a2a). Beide Vorhalte können als selbständige Formen der Sp gedeutet werden. Der 2/3-Vorhalt kann aber als weicher Vorhalt auftreten. Der 2</3-Vorhalt ist Auffassungsdissonanz (enharmonisch verwechselt 3 der d; Bsp. 9.2.4.1.-1a2b).

Bsp. 9.2.4.1.-1b… (Vorhalte der 5, in allen Stimmen, Verdopplung: D7): Als Vorhaltston im 6/5-Vorhalt ist in Dur die 6 und in Moll die 6– leitereigen (Bsp. 9.2.4.1.-1b1). Beim 4/5-Vorhalt wird die 4< bevorzugt (Bsp. 9.2.4.1.-1b2), da die 4 eine untere Vorhaltskollision mit der 3ergibt.

Bsp. 9.2.4.1.-1c… (Vorhalte der 7, nur in den Oberstimmen, Verdopplung: D5): Die 8 als Vorhalt der 7 ist als weicher Vorhalt möglich, ansonsten „durchgehende Septime“ (Bsp. 9.2.4.-1c1). Der 6/7-Vorhalt wird meist mit 6 verwendet (Bsp. 9.2.4.1.-1c2), da sich mit 6– eine untere Vorhaltskollision zur 5 ergibt.

Bsp. 9.2.4.1.-1: Vorhalte im verkürzten Dominantseptakkord

Vorhalte im verkürzten Dominantseptakkord


Dissonanzgefälle

Vorhalt

Klangwert

6 / 5
4< / 5

9

4 / 3
6 / 7

7

8 / 7
2< / 3

5

Bsp. 9.2.4.1.-2: Kadenz mit allen Vorhalten im verkürzten Dominantseptakkord (vorbereitet). In dieser Dichte ist das in der musikalischen Praxis selbstverständlich kaum anzutreffen.

Bsp. 9.2.4.1.-2: Kadenz mit Vorhalten im verkürzten Dominantseptakkord

Kadenz mit Vorhalten im verkürzten Dominantseptakkord


9.2.4.2. Vorhalte im mollsubdominantischen Sextakkord

Vorhalte können in allen Stimmen auftreten, verdoppelt wird im vierstimmigen Satz der S1, bei Vorhalten des 1 die S6:

Bsp. 9.2.4.2.-1a… (Vorhalte der 3): Der 4/3-Vorhalt ist leitereigen nur in Moll (natürlich) möglich (Bsp. 9.2.4.2.-1a1), wenngleich auch der Vorhalt 4< vor 3– vorkommt (im harmonischen Moll; Hiatus bei der Vorhaltsauflösung!). Vorhaltakkord ist ein Dur-Dreiklang, die Auflösung kann (wegen der Mehrdeutigkeit von verminderten Dreiklängen) auch als durchgehende Septime einer Zwischendominante gedeutet werden. Der 2/3-Vorhalt ist als solcher verständlich (Bsp. 9.2.4.2.-1a2).

Bsp. 9.2.4.2.-1b… (Vorhalte der 6): Der 7/6-Vorhalt (Bsp. 9.2.4.2.-1b1 hier in Moll) wurde früher als „Vorhalt vor dem Vorhalt“ angesehen. Die 5 als akkordeigener Ton ist nicht Vorhalt vor der 6, sondern die 6 ist „durchgehende Sexte“ nach der 5 (Bsp. 9.2.4.2.-1b2).

Bsp. 9.2.4.2.-1c… (Vorhalte des 1): Auch der 9/8-Vorhalt könnte als 6/5-Vorhalt einer Zwischendominante gedeutet werden; dagegen spricht, dass in diesem Falle der Leitton verdoppelt wäre (Bsp. 9.2.4.2.-1c1). Die 7 im 7/8-Vorhalt ist meist groß (Bsp. 9.2.4.2.-1c2), da die 7 mit der S6 eine untere Vorhaltskollision ergibt.

Bsp. 9.2.4.2.-1: Vorhalte im mollsubdominantischen Sextakkord

Vorhalte im mollsubdominantischen Sextakkord


Dissonanzgefälle

Vorhalt

Klangwert

9 / 8
7+ / 8

9

7 / 6

7

2 / 3

6

4 / 3
5 / 6

5

Bsp. 9.2.4.2.-2: Kadenz mit allen Vorhalte im mollsubdominantischen Sextakkord vorbereitet. In dieser Dichte ist das in der musikalischen Praxis selbstverständlich kaum anzutreffen.

Bsp. 9.2.4.2.-2: Kadenz mit Vorhalten im mollsubdominantischen Sextakkord

Kadenz mit Vorhalten im mollsubdominantischen Sextakkord


9.2.5. Vorhalte im übermäßigen Dreiklang

Der übermäßige Dreiklang kommt leitereigen nur in Moll vor und funktioniert als kleiner dominantischer Sextakkord (D6–). Vorhalte sind bei allen Akkordtönen und in allen Stimmen möglich.

Bsp. 9.2.5.-1a… (Vorhalte der 3): Die D6– ist zugleich t3 (tonikales Element in der D). Beim 4/3-Vorhalt (Vorhaltakkord: Moll-Dreiklang) tritt ein weiterer tonikaler Ton zur D, so dass der grundstellige kleine dominantische Sextakkord mit 4/3-Vorhalt wie der Dominantvorhaltquartsextakkord anmutet, dessen 6/5-Vorhalt nicht aufgelöst wird (Bsp. 9.2.5.-1a1). Der 2/3-Vorhalt nimmt die 6 des melodischen Moll (Bsp. 9.2.5.-1a2).

Bsp. 9.2.5.-1b… (Vorhalte der 6): Bei den Vorhalten der 6 wirkt diese wie ein unbetonter Nebenton. Im 7/6-Vorhalt (Vorhaltakkord: unvollständiger kleiner Dur-Septakkord) lässt die 7 eine Auflösung in t3 erwarten, die auch erfolgt, allerdings ohne Funktionswechsel zur t (Bsp. 9.2.5.-1b1). Häufig folgt der D6– noch die D5, was den Durchgangscharakter verstärkt. Der 5/6-Vorhalt (Vorhaltakkord: Dur-Dreiklang) ist in Wirklichkeit unbetonter Nebenton (möglich als weicher Vorhalt, Bsp. 9.2.5.-1b1)

Bsp. 9.2.5.-1c… (Vorhalte des 1): Vorhalte des 1 treten entweder mit Terzbass (Bsp. 9.2.5.-1c1a/2a) oder aber im Bass auf (Bsp. 9.2.5.-1c1b72b). Zudem muss die D6– verdoppelt werden (D3 und Vorhalt werden nicht verdoppelt). Der 9–/8-Vorhalt (Vorhaltakkord: Moll-Dreiklang [enharmonisch]) wirkt günstig in allen Erscheinungsformen. Vorhaltakkord ein (enharmonisch verwechselter) Moll-Dreiklang, der vor der Auflösung des Vorhalts als entfernter terzverwandter Dreiklang der s verstanden werden kann (sp; Bsp. 9.2.5.-1c1…). Der 7/8-Vorhalt (Vorhaltakkord: dur-verminderter Dreiklang [enharmonisch]) ist deshalb ungewöhnlich, weil der erwartete Auflösungston (D6– = t3) bereits erklingt (unechter Vorhalt; Bsp. 9.2.5.-1c2…). In den Außenstimmen wirkt er ungünstig, in den Mittelstimmen (dann mit Terzbass) fällt er weniger auf.

Bsp. 9.2.5.-1: Vorhalte im kleinen dominantischen Sextakkord

Vorhalte im kleinen dominantischen Sextakkord


Dissonanzgefälle

Vorhalt

Klangwert

2 / 3
7 / 6–
7 / 8

9

4 / 3
5 / 6–
9– / 8

5

Bsp. 9.2.5.-2: Kadenz mit allen Vorhalten im kleinen dominantischen Sextakkord (vorbereitet). In dieser Dichte ist das in der musikalischen Praxis selbstverständlich kaum anzutreffen.

Bsp. 9.2.5.-2: Kadenz mit Vorhalten im kleinen dominantischen Sextakkord

Kadenz mit Vorhalten im kleinen dominantischen Sextakkord


9.2.6. Vorhalte der charakteristischen Dissonanzen

1 Nach den Grundsätzen des Kontrapunktes können nur die konsonanten Dreiklangstöne (mit Einschränkungen) durch dissonante Nebentöne vorenthalten werden, wobei effektive Konsonanzen als Dissonanzen aufgefasst werden (Auffassungsdissonanz).

2 Mit der Entwicklung der Harmonik wurde das Verständnis für den Vorhalt als melodisch-harmonisches Phänomen erweitert, so dass auch Dreiklangserweiterungen vorenthalten werden können.

Dies sind zunächst die charakteristischen Dissonanzen von S/s (6) und D (7).

Unterer diatonischer Nebenton der S6 und oberer diatonischer Nebenton der D7 sind akkordeigene Töne (S5, bzw. D1), kommen als Vorhalte (die akkordeigene Töne vertreten sollen) daher nicht in Frage. Oberer Nebenton der S6 und unterer Nebenton der D7 sind zugleich Nebentöne anderer Akkordtöne (S1, bzw. D5) und könnten auch zu diesen aufgelöst werden.

Bsp. 9.2.6.-1a…: Der 7+/6-Vorhalt ist leitereigen in Dur (Bsp. 9.2.6.-1a1); in Moll ist der 7/6-Vorhalt leitereigen (Bsp. 9.2.6.-1a2; Vorhalt im Bass). Beide 7-Vorhalte kommen sowohl beim S56/s56 als auch beim S6/s6 vor. Die 7+ als Vorhalt kann auch zum S1 aufgelöst zu werden, die Auflösung abwärts entspricht aber der Praxis des Kontrapunktes (einer 7 folgt eine 6).
Die 6 bei subdominantischen Sextakkorden wurde früher immer als Vorhalt der 5 angesehen (nach den Regeln des Kontrapunktes wird eine betonte unvollkommene Konsonanz in eine vollkommene geführt). Wurde nun die 6 durch die 7 vorenthalten, bezeichnete man das als „Vorhalt vor dem Vorhalt“.

Bsp. 9.2.6.-1b…: Unterer Nebenton der S6 ist S5 (Bsp. 9.2.6.-1b1). Die 5 wirkt als Vorhalt der 6 nur im Umfeld ähnlicher Vorhaltsbildungen (Auffassungsdissonanz, unbetonter Vorhalt); sonst ist die 6 als Durchgang anzusehen („durchgehende Sexte“, analog zur „durchgehenden Septime“ bei der D). Die S5< macht die S zu einem übermäßigen Dreiklang und ist als Vorhalt der 6 verständlich (Bsp. 9.2.6.-1b2).

Bsp. 9.2.6.-1c…: Oberer leitereigener Nebenton der D7 ist D1. Es handelt sich bei dieser Wendung um einen Durchgang („durchgehende Septime“), da die Konsonanz betont, die (effektive) Dissonanz dagegen unbetont ist. Lediglich im Umfeld ähnlicher Vorhaltsbildungen kann sie als Vorhaltsbildung aufgefasst werden (weicher Vorhalt).
Der 8>/7-Vorhalt ist immer chromatisch (Bsp. 9.2.6.-1c2).

Bsp. 9.2.6.-1d…: Der 6–/7-Vorhalt der D dissoniert sehr stark mit der D5 (untere Vorhaltskollision); diese wird daher häufig weggelassen (Bsp. 9.2.6.-1d2). Die 6+ als Vorhalt der 7 ist eine schwächere Dissonanz zur 5, mutet allerdings vor der Auflösung wie S56 an (Bsp. 9.2.6.-1d1).
Nach den Regeln des Kontrapunktes handelt es sich dabei um eine fehlerhafte Wendung: die 6 (unvollkommene Konsonanz) als Vorhalt muss abwärts zur 5 (vollkommene Konsonanz) aufgelöst werden und nicht aufwärts in die 7 (Dissonanz).

Bsp. 9.2.6.-1: Vorhalte der charakteristischen Dissonanzen
(a/b) vor sixte ajoutée – (c/d) vor Dominantseptime

Vorhalte der charakteristischen Dissonanzen (a/b) vor sixte ajoutée – (c/d) vor Dominantseptime


Dissonanzgefälle

Vorhalt

Klangwert

7+ / 6 bei S56
8> / 7 bei D7

13

7– / 6 bei s56
6 / 7 bei D7

12

5< / 6 bei S6
6– / 7 bei D7

6

9.2.7. Vorhalte im verkürzten großen Dominantnonakkord

Der verkürzte große Dominantnonakkord ist leitereigen in Dur.

Als obere leitereigene Vorhalte werden bevorzugt:

Der Doppelterz-Dreiklang besteht aus Grundton und großer und kleiner Terz, Doppelterz-Vierklänge beinhalten zusätzlich die Quinte (auch alteriert), Doppelterz-Fünfklänge einen weiteren Ton (z.B. Septime).

Als untere Vorhalte werden die kleinen unteren Nebentönen bevorzugt, da die großen untere Vorhaltskollisionen ergeben würden.

Bsp. 9.2.7.-1: Vorhalte im verkürzten großen Dominantnonakkord

Vorhalte im verkürzten großen Dominantnonakkord


Dissonanzgefälle

Vorhalt

Klangwert

4< / 5

17

6 / 5

16

3– / 9

15

8 / 7
8< / 9

14

2< / 3
6 / 7

13

4 / 3

12

9.2.8. Vorhalte im verminderten Septakkord

Der verminderte Septakkord (genauer: verkürzter kleiner Dominantnonakkord) ist leitereigen in Moll.

Als obere leitereigene Vorhalte werden bevorzugt:

Als untere Vorhalte werden die kleinen unteren Nebentönen bevorzugt, da die großen untere Vorhaltskollisionen ergeben würden. Diese Vorhalte mit den unteren kleinen Nebentönen klingen alle gleich.

Bsp. 9.2.8.-1: Vorhalte im verminderten Septakkord

Vorhalte im verminderten Septakkord


Dissonanzgefälle

Vorhalt

Klangwert

8 / 7
3– / 9–

15

4 / 3
2< / 3
6– / 5
4< / 3
6 / 7
8 / 9–

14

Bsp. 9.2.8.-2: Die Vorhalte vor den Tönen des verkürzte Dominantnonakkordes lassen sich sequenzartig nacheinander bringen (Vorhaltskette). Dur und Moll unterscheiden sich dabei.

Bsp. 9.2.8.-2: Vorhaltskette im verminderten Septakkord
(a) in Dur – (b) in Moll

Vorhaltskette im verminderten Septakkord (a) in Dur – (b) in Moll


Bsp. 9.2.8.-3a: Die Vorhalte im Bass sind jeweils kleiner unterer Nebenton (teils chromatisch, teils diatonisch). Der Schritt vom Hauptton zum nächsten (unvorbereiteten) Vorhalt ist immer eine große Sekunde. Das ergibt in der Abfolge eine Halbton-Ganztonleiter.
Bsp. 9.2.8.-3b: Der gleiche Verlauf wie zuvor, jedoch auch mit oberen Vorhalten in der Oberstimme, so dass eine reale sequenzartige Struktur entsteht.
In beiden Beispielen ist der D1 als Vorhalt zur D9– aufzufassen (Auffassungsdissonanz).

Bsp. 9.2.8.-3: Vorhaltskette im verminderten Septakkord
(a) im Bass – (b) in den Außenstimmen

Vorhaltskette im verminderten Septakkord (a) im Bass – (b) in den Außenstimmen


Bsp. 9.2.8.-4: Im 2. Takt, 3. Taktzeit erklingt der Dominantdreiklang. Die beiden Grundtöne im Sopran und im Bass wirken jedoch wie Vorhalte zu D7 bzw. D9–. Dieses Phänomen erklärt sich aus der Konsequenz, mit der zuvor jeder betonte Ton in Sopran und Bass Vorhalt war. Es handelt sich um einen extremes Beispiel für Auffassungsdissonanz. Bemerkenswert sind außerdem das gleichzeitige Auftreten der Quarte als oberer Vorhalt der Terz und der übermäßigen Quarte als unterer Vorhalt der Quinte (Takt 2, Taktzeit 3), sowie die tiefalterierte D3 als oberer Vorhalt der D9– zugleich mit der D3 (Takt 2, Taktzeit 1). Beides sind anschauliche Beispiele für das Phänomen der Koalteration.

Bsp. 9.2.8.-4: Vorhaltskette im verminderten Septakkord in Gegenbewegung der Außenstimmen

Vorhaltskette im verminderten Septakkord in Gegenbewegung der Außenstimmen


 

⇒ zurück zum Inhalt      ⇒ weiter

ES-Logo klein  © 2005 Everard Sigal

Valid HTML 4.01 Transitional