3. Akkord-Disposition

Mit Akkord-Disposition (Textur, Voicing, Stimmverteilung) wird die Verteilung der Akkordtöne auf die Stimmen eines Tonsatzes bezeichnet. Dabei sind Überlegungen notwendig in Bezug auf:

3.1. Verdopplung

1 Bei der Darstellung der Dreiklänge im vierstimmigen Satz muss ein Ton verdoppelt werden, also in zwei Stimmen gesetzt werden (entweder im Einklang oder als Oktavversetzung).
Vierklänge können vollständig ohne Verdopplung dargestellt werden. Fehlt die Quinte, so wird der (Funktions-)Grundton verdoppelt.

2 Grundsätzlich sind alle Dreiklangstöne verdopplungsfähig. In der Praxis ergibt sich allerdings bei Dur- und Moll-Dreiklängen in erster Linie eine Verdopplung des Grundtons (Bsp. 3.1.-2a). Wenn das aus Gründen einer guten Stimmführung nicht möglich ist, erscheint die Quinte doppelt (2x5, Bsp. 3.1.-2b). Bei der Verdopplung der Terz (2x3, Bsp. 3.1.-2c), muss lediglich beachtet werden, dass sie kein Strebeton (Leitton oder Gleitton) ist. In diesem Fall kann auch sie verdoppelt werden.

Das bedeutet, dass bei Dur- und Molldreiklängen die Terz, sofern sie weder Leit- noch Gleitton ist, immer verdoppelt werden kann. Dies entspricht der Auffassung des Generalbass, dass bei Dreiklängen - gleich in welcher Akkordstellung - immer der Basston zu verdoppeln ist, außer wenn es sich bei diesem um die 7. Stufe (Leitton) handelt. Außerdem musste über der 7. Stufe ein Sextakkord erscheinen.

Ein Leitton hat als Strebeton die Tendenz im Klein-Sekundschritt aufwärts, ein Gleitton hat als Strebeton die Tendenz im Klein- oder Groß-Sekundschritt abwärts weitergeführt zu werden.

Im freien Satz ist die Verdopplung der D3 bei Trugschlusswendungen gestattet (Bsp. 3.1.-1; bemerkenswert ist die 2x3 bei beiden Akkorden, jeweils in unauffälliger Form).

Bsp. 3.1.-1: Verdopplung des Leittons bei Trugschluss

Verdopplung des Leittons bei Trugschluss


Die Terz jeder (Dur-)Dominante ist Leitton (dies gilt nicht nur für die eigentliche [primäre] Dominante, sondern auch für Zwischendominanten [Sekundärdominanten]). Die Terz jeder Moll-Subdominante ist Gleitton, ebenso die kleine None der Dominante.

Bsp. 3.1.-2: Bespiele für die Verdopplung
(a) des Grundtons – (b) der Quinte (2x5) – (c) der Terz (2x3)

Bespiele für die Verdopplung (a) des Grundtons – (b) der Quinte (2x5) – (c) der Terz (2x3)


Verdoppelte Töne sind am deutlichsten in den Außenstimmen wahrzunehmen (Bsp. 3.1.-3a). Am unauffälligsten ist die Verdopplung zwischen Tenor/Bass und Alt/Bass, sowie zwischen Sopran/Alt (Bsp. 3.1.-3b).

Bsp. 3.1.-3: (a) auffällige und (b) unauffällige Terzverdopplung

(a) auffällige und (b) unauffällige Terzverdopplung


3.2. Vollständigkeit

Werden nicht alle Akkordtöne auf die Stimmen verteilt, fehlt also einer von ihnen, liegt ein unvollständiger Akkord vor. Bei Dreiklängen kann nur die Quinte fehlen (5). In diesem Falle erscheint entweder der Grundton verdreifacht (3x1, Bsp. 3.2.-1a) oder Grundton und Terz jeweils verdoppelt (2x1/3, Bsp. 3.2.-1b).

Ein Akkord mit fehlendem Grundton wird verkürzt genannt (tritt fast nur bei der erweiterten Dominante auf).

Bsp. 3.2.-1: Unvollständige Dreiklänge (Beispiele):
(a) Grundton dreifach, Terz einfach (3x1) - (b) Grundton und Terz doppelt (2x1/3)

Unvollständige Dreiklänge (Beispiele): (a) Grundton dreifach, Terz einfach (3x1) - (b) Grundton und Terz doppelt (2x1/3)


Ein unvollständiger oder verkürzter Akkord ist, je nachdem welcher Ton als fehlend angenommen wird, mehrdeutig. Meist ergibt sich aber die Bedeutung aus dem Zusammenhang.

3.3. Lage

Der Begriff Lage wird im Tonsatz im zweifacher Bedeutung gebraucht:

3.3.1. Diskant-Lage

1 Die Diskant-Lage gibt an, welcher Dreiklangstons in den Sopran gesetzt ist. Demnach spricht man von Oktav-, Terz- bzw. Quintlage (bei Mehrklängen auch Sext-, Sept-, Non-, Undezim- und Tredezimlage).

Die Oktavlage wurde früher auch als „Grundlage“ bezeichnet.

2 Die Diskant-Lage ist unabhängig von der Akkordstellung. Eine bestimmte Akkordstellung bedingt nicht eine bestimmte Diskant-Lage.

Zur besseren Unterscheidung von der Abstandslage sollte für die Diskant-Lage nicht nur der Begriff „Lage“ verwendet werden.

3.3.2. Abstandslage

1 Die Abstandslage kennzeichnet den Abstand der drei Oberstimmen zueinander. Es werden unterschieden: weite Lage, enge Lage, Grenzlage und gemischte Lage.

Zur besseren Unterscheidung von der Diskant-Lage sollte für die Abstandslage nicht nur der Begriff Lage verwendet werden.

weite Lage: der Abstand sowohl zwischen Sopran und Alt als auch zwischen Alt und Tenor ist so groß, dass ein akkordeigener Ton dazwischen gesetzt werden kann (Bsp. 3.3.2.-1a).

Der Abstand zwischen Sopran und Tenor ist somit größer als eine Oktave. Für den vierstimmig gemischten Chorsatz ist die weite Lage von größerer Bedeutung. Sie gibt vor allem den Mittelstimmen eine größere Bewegungsfreiheit.

Die weite Lage wurde früher auch als „zerstreute Lage“ bezeichnet.

enge Lage: Sopran und Alt und ebenso Alt und Tenor übernehmen jeweils benachbarte Akkordtöne (Bsp. 3.3.2.-1b).

Der Abstand zwischen Sopran und Tenor ist kleiner als eine Oktave. Beim Klaviersatz wird die enge Lage bevorzugt: die drei Oberstimmen können dann mit einer Hand gegriffen werden, ohne über die Oktavspannung hinaus gehen zu müssen.

gemischte Lage: zwischen Sopran und Alt besteht enge Lage und zwischen Alt und Tenor weite Lage oder umgekehrt (Bsp. 3.3.2.-1c).

Ein besonderer Fall der gemischten Lage ist die Grenzlage (Übergangslage). Dabei beträgt der Abstand zwischen Sopran und Tenor genau eine Oktave. Für bestimmte Akkordstellungen (z.B. Sextakkorde) ist die Grenzlage klanglich am günstigsten.

Beim Generalbass-Spiel wird die Grenzlage für die rechte Hand auch mit „Spreizgriff“, „Gabelgriff“ oder „in Oktavenweite“ bezeichnet (wegen der Oktavspannung in der rechten Hand).

Bsp. 3.3.2.-1: Beispiele für (a) weite Lage - (b) enge Lage - (c) gemischte Lage
(die schwarzen Notenköpfe zeigen die „Lücken“)

Beispiele für (a) weite Lage - (b) enge Lage - (c) gemischte Lage (die schwarzen Notenköpfe zeigen die „Lücken“)


2 Grundsätzlich soll der Abstand zwischen Sopran und Alt sowie zwischen Alt und Tenor nicht größer als eine Oktave sein, der zwischen Tenor und Bass höchstens eine Doudezime betragen.

Im Allgemeinen ist es für einen ausgewogenen Klang förderlich, wenn der Abstand zweier benachbarter Stimmen nach der Höhe zu abnimmt, ähnlich den Intervallen in der Partialtonreihe.

3.3.3. Lagenwechsel

Ein Lagenwechsel tritt ein, wenn bei gleich bleibendem Akkord die drei Oberstimmen andere Akkordtöne übernehmen.

Dabei bewegen sich die drei Oberstimmen meist in die gleiche Richtung (Bsp. 3.3.3-1a). Bei unterschiedlicher Bewegungsrichtung tritt ein Wechsel von weiter zu enger Lage (Bsp. 3.3.3.-1b) oder umgekehrt ein (Bsp. 3.3.3.-1c), meist in der Art, dass zwei Stimmen ihre Töne tauschen (mit entsprechender Oktavierung) und die dritte Stimme in ihrer Lage verharrt.

Bsp. 3.3.3.-1: Lagenwechsel: (a) aller drei Oberstimmen,
(b) (c) mit Übergang von weiter in enge Lage

Lagenwechsel: (a) aller drei Oberstimmen, (b) (c) mit Übergang von weiter in enge Lage


3.4. Stimmkreuzung

1 Bei normaler Verteilung der Töne wird der höchste Ton der höchsten Stimme zugeordnet und die nach der Tiefe folgenden Töne der Reihe nach den tieferen Stimmen.

Bei Stimmkreuzung wird von diesem Prinzip abgewichen: eine höhere Stimme übernimmt den tieferen Ton, ein tiefere den höheren Ton.

Bei Mittelstimmen ist dies häufiger der Fall und ergibt sich meist aus der melodischen Bewegung der Stimmen.

2 Stimmkreuzungen an denen Sopran (oberste Stimme) oder Bass (tiefste Stimme) beteiligt sind, sollten vermieden werden, da im ersten Fall der Verlauf der (meist Melodie tragenden) Oberstimme und im zweiten Fall die harmonische Deutung unklar wird.

„Unechte“ Stimmkreuzung: eine Stimme springt in einen höheren (tieferen) Ton, als ihn die tiefere (höhere) Nachbarstimme vorher hatte, wobei die Anordnung der Stimmen nach der Höhe bleibt.

Bsp. 3.4.-1: (a) normale Verteilung,
(b) Stimmkreuzung zwischen Alt und Tenor,
(c) „unechte“ Stimmkreuzung

(a) normale Verteilung, (b) Stimmkreuzung zwischen Alt und Tenor, (c) „unechte“ Stimmkreuzung


Tauschen zwei Stimmen für längere Dauer die Höhenlage, spricht man von Stimmtausch.

 

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